fd 11/2004
Erstellt am 25. Mai 2004

interview

Zur Freiheit verdammt

Gespräch mit David Cronenberg
Von: Rüdiger Suchsland
Nach eher klassischen Horrorfilmen zu Beginn seiner Karriere avancierte der Kanadier David Cronenberg mit „Videodrome“ zum Meister des subtilen Horrors, der geschickt mit seelischen, körperlichen und geschlechtlichen Ängsten seiner Zuschauer jongliert. Für Cronenberg, dessen Filme immer auch vehemente Kritik an unserer Gesellschaft sind („Crash“), findet Horror nicht in dunklen Korridoren, sondern in den Tiefen unserer Seele statt und konfrontiert mit der Angst vor Deformationen jedweder Art („eXistenZ“). Mit „Spider“, der verstörend-hoffnungslosen Geschichte eines völlig auf sich zurück geworfenen Mannes, kommt nun Cronenbergs jüngstes Meisterwerk in die Kinos (Kritik in dieser Ausgabe), dessen existenzialistische Fragestellung wenig Versöhnliches über das Leben im Hier und Jetzt aussagt.

Das Drehbuch zu „Spider“, das auf eine Erzählung von Patrick McGrath zurückgeht, zirkulierte bereits eine Weile; andere Regisseure, darunter Atom Egoyan, hatten es abgelehnt. Sie haben dann ein neues geschrieben. Was hat Sie daran gereizt? Sind sie arachnophil?

Cronenberg: In einem Punkt muss ich Sie korrigieren: Ich habe kein neues Drehbuch geschrieben, sondern Patrick McGrath, von dem auch das ursprüngliche Script stammt, hat es gemeinsam mit mir überarbeitet. Tatsächlich ist das Script vorher in Kanada zirkuliert. Ich weiß nicht genau, welche Regisseure – außer Egoyan – es gelesen und dann abgelehnt hatten. Mir gefiel es von Anfang an. Gegenüber der Novelle ist es allerdings verändert. Die stärkste Veränderung ist die Tatsache, dass im Buch Spider als Ich-Erzähler fungiert. Die Spinne und das Spinnenhafte haben hier mehrere Funktionen; zunächst ist es der Name, den der Junge von seiner Mutter erhielt. Dies wird dann zu einer visuellen Metapher: die Art, wie er in sein Buch hineinschreibt, wie er mit den Wollfäden als Kind spielt, auch wie er als Erwachsener sein Zimmer vernetzt. Schließlich wird ein „Spinnenfaden“ zur tödlichen Waffe.

Vieles, was man sieht, entspricht der inneren Wahrnehmung der Hauptfigur, seinen Albträumen und Wahnvorstellungen. Man könnte sagen: Es ist gar nicht real, sondern Spiders Konstruktion, sein Cyberspace.

Cronenberg: Ja, wenn Sie „Cyber“ als etwas Inneres verstehen. Ganz gewiss geht alles um Spiders eigene Wahrnehmung. Das Buch ist eben aus der Ich-Perspektive erzählt. Jenes Buch, das Spider schreibt, ist das Buch, das wir als Leser lesen: Spiders Tagebuch. Dadurch werden wir, ganz klar, selbst zu Spider. Auch im Kino. Und seine Reisen ins Innere, in seine Vergangenheit, werden auch für uns zu einer schmerzhaften Entdeckung. Der Film ist ein allmählicher Erfahrungsprozess.

„Spider“ berührt sehr verschiedene Themen. Man könnte ihn als Horrorfilm begreifen, aber auch als Psychothriller oder als Fallstudie einer Krankheit. Was ist der Film für Sie?

Cronenberg: Ich glaube, ich mache Komödien (lacht). Wissen Sie: Ich denke nicht in diesen Kategorien. Wer das tut, muss Rezept und Machart akzeptieren, und das will ich gerade nicht. Glücklicherweise bin ich der Letzte, der den Film auf einen Begriff bringen muss. Aber nach heutigem Verständnis würden ihn wohl viele nicht als Horrorfilm einstufen. Unter „Horror“ verstehen Zuschauer heute etwas anderes, Blutigeres; oder ironische Genre-Variationen wie „Scream“. Tatsächlich hatte ich zunächst vor, mehr Horrorelemente einzubauen. Das habe ich dann aber verworfen, weil es mir unangemessen schien. Es hätte nicht zum Charakter der Figur gepasst. Auch wollte ich den Film offener lassen. „Spider“ ist zwar ein psychologischer Thriller, aber dann hat er wieder zu wenig Thrill. Andererseits gibt es einen Mord, es gibt ein Mysterium, die Suche nach dem Mörder. Man könnte also sagen: Es ist ein Murder-Mystery-Film. Aber da Sie den Film kennen, werden Sie wahrscheinlich mit mir übereinstimmen, dass auch das eher in die Irre führt.

Auf alle Fälle. Mir scheint, dass Sie sich zum einen besonders für das Freudianische an „Spider“ interessieren – die ganze Story hat etwas Ödipales –, andererseits stimmt daran wiederum etwas gar nicht.

Cronenberg: Richtig. Die Story ist nämlich eher anti-ödipal: Er bringt die Mutter um, nicht den Vater. Worum es viel eher geht, ist Repression. Spider wird unterdrückt, kämpft dagegen, und die Repression bricht zusammen. Zugleich unterdrückt er in sich selbst wieder ein Stück von sich.

Ihr vorletzter Film „eXistenZ“ spielte dezidiert mit Themen des Existenzialismus. Auch „Spider“ legt eine existenzialistische Sicht nahe. Man könnte sagen: Die Hauptfigur sei der „nackte Mensch“, eine Art „Mensch schlechthin“...

Cronenberg: Die Basis ist eine existenzialistische Sicht der Realität. Das bedeutet: Es gibt keine absolute Realität. Es gibt nur ein oder zwei Tatsachen über das Leben – die eine ist der Tod, eine weitere das Leben. Dazwischen müssen wir alles selbst erfinden und hervorbringen. Die Verantwortung dafür ist ganz und gar unsere eigene – niemand nimmt uns das ab. Es gibt keine Regeln, außer die, die wir selbst erfinden. Das entspricht meiner Weltsicht. Wir sind, wie Sartre gesagt hat, „dazu verdammt, frei zu sein“. Das ist erschreckend und aufregend zugleich. Die meisten Leute wollen diese Verantwortung nicht akzeptieren; die meisten Religionen versuchen, uns eine Struktur zu verpassen, mit deren Hilfe wir das nicht anerkennen müssen. Sie geben uns eine Moral und normalerweise auch eine Ausflucht gegenüber dem Tod. Aber als wahrer Existenzialist akzeptiert man diese unangenehmen Wahrheiten und trifft seine Wahl auf der Basis, dass es nur auf einen selbst ankommt. Davon handelt mein Film.

Dies interessiert Sie persönlich mehr als die anderen Themen?

Cronenberg: Ja, für mich ist Filmemachen eine philosophische Erkundungsreise. Das ist mein Weg, um meine eigene Existenz zu begreifen, das Leben und den Tod. Nochmal: Ohne hoffentlich zu schwerblütig und zu prätentiös zu werden, das ist etwas, was das Kino tun kann, obwohl es leider nicht mehr sehr oft getan wird. Wir haben noch nicht einmal richtig damit begonnen, die Möglichkeiten des Kinos zu erkunden und auszureizen. Weil Hollywood so dominant ist. Filmemachen à la Hollywood ist eine wundervolle Form, aber eben nur eine Form. Das Publikum ist aber sehr einseitig auf diese Art Kino ausgerichtet: Man erwartet Hollywood-Figuren, Hollywood-Erzählungen, Licht, Schnitt, etc. Wenn man davon abweicht, verstehen es die Leute nicht. Sie haben keinerlei Kenntnisse, um andere Arten zu filmen überhaupt zu verstehen. Wenn man keine Hollywood-Filme machen will, ist das ein echtes Problem. Man hat kein Publikum. Das ist hart. Wenn man Unterhaltungsfilme dreht, will man Bequemlichkeit erzeugen – das ist der traditionelle Weg Hollywoods: Bezauberung und Unterhaltung, keinerlei Verstörungen. Ich bin eher der Typ, der aus einem Albtraum erwacht und erzählt: Hallo, Ihr da, ich hatte gerade einen ganz verstörenden Traum, ich will Euch das erklären. Ich hoffe, die Realität meines Publikums zu verändern, und ich hoffe, ich kann das, jedenfalls ist das meine Hauptabsicht. Wenn es nicht passiert, war ich nicht erfolgreich, und es stört mich gar nicht, wenn sich das Publikum unwohl fühlt (lacht). Genau genommen ist es die Pflicht eines Künstlers, es dem Publikum unbequem zu machen. Aber es ist trotzdem eine Art Zusammenabeit mit dem Publikum.

In letzter Zeit hat man viel vom kanadischen Kino gehört; das Kino ihrer Heimat erlebt einen enormen Aufschwung. Lange Zeit gab es, von außen betrachtet, nur Sie und Atom Egoyan. Heute gibt es eine ganze Reihe junger begabter kanadischer Filmautoren. Wo sehen Sie sich im Verhältnis zu diesen stehen? Fühlen Sie sich überhaupt als „kanadischer“ Regisseur?

Cronenberg: Unbedingt! Alle meine Filme habe ich dort gedreht. „Spider“ wurde drei Wochen in London und fünf Wochen in Kanada gedreht. Die „kanadische Erfahrung“ unterscheidet sich stark von derjenigen der US-Amerikaner. Wir sind stark europäisch und asiatisch geprägt, stärker, als die USA. Bei uns nennen wir es Multikulturalismus. Also: Ich fühle mich unbedingt als Kanadier. Aber der nationalen Basis steht das Phänomen gegenüber, das man als Globalisierung bezeichnet. Sowohl dieses Land als auch das Filmemachen sind sehr stark davon geprägt – sie ist gar nicht wegzudenken. Wenn Grenzen fallen, ist das im Prinzip etwas sehr Positives, allerdings verändert es sehr stark unsere Arbeit.

Inwiefern konkret?

Cronenberg: Wenn ich etwa an meinen Freund, den Filmkomponisten Howard Shore denke: Er sitzt in London und bekommt Bilder aus Neuseeland zu „Der Herr der Ringe“ per Internet überspielt und komponiert dann etwas dazu. Dann sendet er es weiter in ein Tonstudio in den USA. Eine sehr merkwürdige Arbeitsweise. Was ist der Ort, was die Heimat und Identität dieses Films? Ich bin überzeugt, Regisseur Peter Jackson glaubt, er habe einen neuseeländischen Film gedreht. Aber das ist natürlich Unsinn.

Projekte dieser Art würden Sie wohl auf keinen Fall reizen, auch nicht, wenn Sie für Sie finanzierbar wären?

Cronenberg: Ja, da haben Sie allerdings recht. Das reizt mich wirklich kein bisschen.

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