Matthias übernimmt den Stab der KHG-Bibelstaffette mit folgendem
Bibeltext aus Lukas 1, 46-55:
(Zum schöner Lesen und Ausdrucken gibt's das gleiche noch mal im
PDF-Anhang, auf Anfrage auch als RTF)


Der Lobgesang der Maria, das "Magnificat" (Lk 1, 46-55)

46 Meine Seele preist voll Freude den Herrn,
47 mein Geist ist voll Jubel über Gott, meinen Retter.
48 Denn er hat gnädig auf seine arme Magd geschaut.
Von nun an preisen alle Geschlechter mich glücklich.
49 Denn der Mächtige hat an mir Großes getan;
sein Name ist heilig.
50 Er schenkt sein Erbarmen von Geschlecht zu Geschlecht
allen, die ihn fürchten und ehren.
51 Sein starker Arm vollbringt gewaltige Taten:
Er macht die Pläne der Stolzen zunichte;
52 er stürzt die Mächtigen vom Thron
und bringt die Armen zu Ehren;
53 er beschenkt mit seinen Gaben die Hungrigen,
die Reichen aber schickt er mit leeren Händen fort.
54 Er nimmt sich gnädig seines Knechtes Israel an,
denn er denkt an das Erbarmen,
55 das er unseren Vätern verheißen hat,
Abraham und seinen Nachkommen, für ewige Zeiten.

Maria hatte gerade von einem Engel erfahren, daß sie ohne Zutun
eines Mannes ein Kind gebären sollte. Darüber wohl doch noch etwas
irritiert, besuchte sie ein paar Tage später Elisabeth, eine
Verwandte, die ebenfalls ein Kind erwartete, obwohl sie lange Zeit
als unfruchtbar gegolten hatte. Lukas schreibt dazu (Lk 1, 40-45):
"Sie ging in das Haus des Zacharias und begrüßte Elisabeth. Als
Elisabeth den Gruß Marias hörte, hüpfte das Kind in ihrem Leib. Da
wurde Elisabeth vom Heiligen Geist erfüllt und rief mit lauter
Stimme: Gesegnet bist du mehr als alle anderen Frauen, und gesegnet
ist die Frucht deines Leibes. Wer bin ich, daß die Mutter meines
Herrn zu mir kommt? In dem Augenblick, als ich deinen Gruß hörte,
hüpfte das Kind vor Freude in meinem Leib. Selig ist die, die
geglaubt hat, daß sich erfüllt, was der Herr ihr sagen ließ."
Daraufhin tat Maria angeblich spontan oben zitierten wohlüberlegten
Ausspruch (Lk 1,46-55), der aufgrund seines ersten Wortes in der
lateinischen Übersetzung als "Magnificat" bekannt ist.

Es ist wahrscheinlich, daß Maria diese Worte von Lukas "in den Mund
gelegt" wurden. Es soll sich um einen urchristlichen Hymnus handeln,
der stark an das "Danklied der Hannah" (1 Sam 2,1-10) angelehnt ist.
Ein ganz ähnliches Loblied stimmte, laut Lukas, kurze Zeit später
auch Zacharias, der Ehemann von Elisabeth, bei der Geburt des
Johannes an (Lk 1,68-79). Allerdings war der ein Priester, dem
solcherart Rede immerhin zuzutrauen wäre. Insgesamt kann man aller-
dings davon ausgehen, daß die (ja durchaus recht unterschiedlichen)
"Berichte" von den Umständen der Geburt Jesu theologisch angerei-
cherte Legenden sind, die ihn vor allem als den erwarteten Messias
legitimieren und seine Bestimmung als Erlöser klar bezeugen sollen.

Aber gerade deswegen hat das "Magnificat" für mich eine ganz beson-
dere Kraft. Es bezeugt, daß schon allein in der Tatsache, daß der
Erlöser von einer armen, unscheinbaren Frau geboren wurde, Gottes
Vorliebe für die Armen sichtbar wird. Mit seinem Evangelium will
Lukas uns Jesus als den Heiland der Verlorenen, der sozial Entrech-
teten, der Frauen, der Zöllner und Sünder zeigen. Indem Maria (ange-
sichts der ihr widerfahrenen Gnade) damals gängige Worte der Litur-
gie verwendet, die in Kürze wesentliche Elemente der jüdischen Theo-
logie aufspannen, bezeugt sie (bzw. Lukas) das Evangelium von Jesus
als Erfüllung der großen Hoffnung des "Volkes Israel": Er, von dem
im Folgenden die Rede sein wird, er ist der, den wir so lange erwar-
tet haben. Er, ist derjenige, der Gottes Willen auf der Erde ver-
tritt, die Mächtigen vom Thron stürzt und die Armen zu Ehren bringt.
Er wird endlich Gerechtigkeit und "Leben in Fülle" für alle bringen.

Mit Jesus ist etwas Großartiges in die Welt gekommen. Es ist fühlbar
in der Bibel. Man kann es erspüren in religiösen Texten und in
musikalischen Werken (Ich hatte Gelegenheit, in der Kantorei der
Stiftskirche die H-Moll-Messe und das "Magnificat" von Bach mitzu-
ingen!). Man kann es sehen (u. a.) in kirchlichen Projekten und im
Einsatz von Menschen für Gerechtigkeit und Frieden weltweit. Man
kann es erleben im eigenen Handeln aus dem Evangelium heraus.

Aber eben die Aspekte der Großartigkeit des Lebens Jesu und der
Sehnsucht nach Gerechtigkeit fehlen mir beim volkstümlichen Weih-
nachtsfest fast gänzlich. Ursprünglich als christliches Kampffest
gegen heidnische Sonnenwendfeiern gesetzt (das genaue Datum von Jesu
Geburt ist ja ebenso unbekannt, wie irrelevant), ist es heute eher
ein Kultfest für die Götzen der Marktwirtschaft. Der Einzelhandel
beobachtet akribisch seine Verkaufszahlen und versucht sie mit
pseudomusikalischem Weihnachtsgedudel kundenorientiert zu opti-
mieren. Kinder rechnen sich insgeheim aus, wieviel Euro sie ihren
Eltern wohl wert sind. Und Ehepartner sind bemüht, sich ihre Liebe
je nach Einkommen angemessen zu beweisen. "Gerechtigkeit" ist nur in
sofern wichtig, daß alle Kinder ungefähr gleichviel bekommen. Und
weil der Gott-schalk so nett dazu aufruft, bekommen die "armen
Kinder" im Fernsehen auch was ab; zwecks Beruhigung des Gewissens
(und damit der Familienname mal kurz über den Bildschirm wandert).
Was war an Weihnachten eigentlich gleich noch christlich? - Ach ja,
das Christkind. Das bringt doch die Geschenke (oder macht das doch
der Weihnachtsmann oder Santa Claus oder gar Mama und Papa)?...

Aber auch das kirchliche Brauchtum befremdet mich als Christ zuneh-
mend. Vier Wochen vor Weihnachten (also etwa acht Wochen nach dem
Weihnachtsgebäck bei Aldi) ist der "liebe Advent" angesagt. Die
Erwartungen steigen. Irgendwas kommt da. Aber was? Was erwarten wir
als Christen denn eigentlich noch? Wer kommt denn da? Ei wo isser
denn? Ahh, endlich: Da liegt der "holde Knabe im lockigen Haar" in
seinem heimelig beleuchteten Krippelein in einer gut beheizten
kleinen Spielzeug-Scheune. Das "hochheilige Paar" samt Ochs und Esel
stehen verzückt oder lethargisch drum herum. Und "Owie lacht" - etwa
aus Verlegenheit? Vielleicht ahnt er, wie hoffnungs-los sich die
Christenheit des reichen Nordens um Weihnachten herum in Eltern-
gefühlen, kindlicher Nostalgie und Innerlichkeit verliert...

Könnte es etwa sein, daß wir zu Weihnachten etwas erwarten, das uns
gar nicht verheißen ist? Eine im Internet veröffentlichte Predigt
zum 4. Advent bringt es für mich auf den Punkt: "Nicht das putzige
Jesulein im allerliebsten Krippelein kommt. Wir erwarten den König,
der Frieden und Gerechtigkeit für die Armen bringt. Hier im Land und
draußen in der Welt. Wir haben eine Hoffnung für die Welt!"

Das Weihnachtsfest, so wie es sich für mich darstellt, ist ziemlich
unchristlich, und ich bin skeptisch, ob sich das ändern könnte oder
gar sollte. Vielleicht sollte man es als unausrottbares Volksfest
endgültig Coca-Cola und Co. überlassen. "Ach wenn doch das ganze
Jahr Weihnachten wär!" schwärmt Mutter Hoppenstedt im Finale der
wundervollen Weihnachts-Karikatur von Loriot. Was die Verfügbarkeit
von Lebkuchen und Dominosteinen betrifft, wird es wohl bald so weit
sein. Die Projektion der großen menschlichen Sehnsüchte auf Konsum
und Besitz haben wir aber schon lange...

Gerade da wird es für mich aber wieder interessant, nämlich bei den
Sehnsüchten: Nirgendwann sonst im Jahr, wie zwischen dem Beginn der
Weihnachts-Werbung und dem Jahreswechsel spüren wir unsere tiefsten
Sehnsüchte so deutlich: Das "Fest der Familie" verspricht Sicherheit
und Geborgenheit; das "Fest der Liebe" verspricht bedingungsloses
Angenommensein und Herzenswärme; das "Fest des Friedens" verspricht
Harmonie und Entspannung und läßt uns den alltäglichen Konkurrenz-
kampf, Armut und Kriege vergessen; das "Fest des Schenkens" bedeutet
das Schlaraffenland oder auch nur die Lust am spielerisch zwanglosen
(nicht marktgesteuerten) Geben und Nehmen, das "Fest des Kindes"
versetzt uns in Zeiten zurück, wo das Leben noch zauberhaft und
vielversprechend war; das neugeborene Kind, die gerade vollzogene
Sonnenwende zur warmen Jahreszeit hin sowie das nahende neue
Kalenderjahr symbolisieren die Möglichkeit eines Neuanfangs, der all
unsere Wünsche an das Leben vielleicht endlich erfüllen könnte...

Die Realität sieht dann oft anders aus: Wochenlanger "Weihnachts-
stress", Streit um den "Christbaum", eisernes Sitzplatz-Reservieren
in der Kirche, Familienkrach am "Heiligen Abend", Völlerei bis zur
Bewußtlosigkeit, Neid, Enttäuschung, Tränen, Bericht vom
Terroranschlag am 1. Weihnachtstag, Ratlosigkeit, Tristesse,
Geschenke-Umtausch, Brechen der guten Vorsätze schon in den ersten
Neujahrstagen... In dem ganzen Trubel und durch zwanghafte Vorstel-
lungen, wie es alles sein müßte, geht das eigentlich Gewünschte oft
unter. Schlimmer noch: Weil alle so hohe Erwartungen haben, erleben
die Einsamen, Alleingelassenen, Depressiven, Verzweifelten,
Gefangenen diese Zeit als besonders belastend. Und wer kein Geld für
große Geschenke hat, fühlt sich nackt, hat Angst nicht zu genügen...

Wieso sollte denn auch gerade an diesen Tagen all das stimmen, was
sonst das ganze Jahr über nicht stimmt? Weihnachten ist eben leider
auch das Fest der Widersprüche, Spannungen und Brechungen. Gerade
die weihnachtliche Sentimentalität ist vielleicht der hilflose
Ausdruck unserer tiefsten Sehnsüchte. In sofern ist Weihnachten auch
immer eine Chance zu Einkehr und Neuorientierung. Weihnachtsflucht
kann uns zwar manche Verlogenheit und Enttäuschung ersparen, nicht
jedoch die Traurigkeit um das ungelebte Leben in unseren persönli-
chen Beziehungen und weltweit.

Tja, aus meinen Gedanken zur Weihnacht ist nun wohl doch fast eine
kleine Predigt geworden. Also kann ich auch zur unvermeidlichen
positiven Wendung kommen: Eigentlich sollte das doch für uns
Christen alles keine Rolle spielen. Wieso die ganze Schenkerei - wir
wissen uns doch als von Gott geliebt und reichlich beschenkt. Und
dieses Familiengetue - wir haben doch gelernt, uns als eine (Mensch-
heits-)Familie zu verstehen (die Probleme ganz anderer Größenord-
nungen hat). Wir brauchen auch keine verklärenden Kindheits-Regres-
sionen, weil wir uns als Gottes Kinder stets in seiner Hand geborgen
wissen. Wir müssen uns nicht um das Morgen sorgen, denn wir bekommen
ja an jedem Tag, was wir brauchen. Wir wollen Schätze im Himmel
sammeln und nicht auf Erden. Wir sind friedfertig, lieben unsere
Feinde, kümmern uns um die Nackten, Hungrigen, Obdachlosen, Kranken,
Armen und Gefangenen...

Ja, das ist wirklich unser Ideal! Deswegen scheue ich mich auch,
hier ein relativierendes "aber" zu setzen, das einen leichtfertigen
Schritt zurück erlauben würde. Ja, ich möchte eigentlich sogar das
"Eigentlich" zurücknehmen. Und ich wünsche uns - um Gottes Willen -
daß wir diese Dinge immer tiefer zu verstehen und zu leben lernen -
individuell und als Weltgesellschaft. Der Schritt zurück ist leider
eine alltägliche Erfahrung menschlicher Schwäche, doch haben wir
jederzeit die Möglichkeit der Vergebung und des Neuanfangs aus der
tiefen spirituellen Liebe Gottes heraus; für uns ist also gewisser-
maßen ständig Weih-Nacht (bzw. Weih-Tag).

Das Reich Gottes ist schon angebrochen, aber noch nicht in seiner
Fülle verwirklicht. An die Erfüllung zu glauben, ist heute schwerer
denn je, aber es ist unser Glaube. In diesem Sinne ist auch jeden
Tag Advent ("Machet dem Herrn die Wege bereit!"). Und in diesem
Sinne wünsche ich nun uns allen frohe Weihnachten und rege dazu an,
sich die Großartigkeit dieses All-Tags-Festes noch einmal da capo
durch einen Blick auf das "Magnificat" bewußt zu machen...

Matthias


Damit gebe ich den Stab weiter an den Zielläufer Martin Monerjan...

*** LvE: Adresse gelöscht! ***

(Noch hechelnd ob der großen Anstrengung frage ich trotzdem schon
mal beim Bibelstaffetten-Komitee an, ob wir nicht versuchen sollten,
ein weiteres Rennen zu veranstalten? Falls sich nicht genug Läufer
fänden, könnten wir die Etappen ja auf 2 Wochen verlängern...)



Eine Übersicht zur KHG Bibel-Stafette 2003 gibt's unter
http://www.dfki.uni-kl.de/~elst/html/bibel2003/

Die Bibel-Stafette wird mittels eines List-Servers am RHRK der Uni Kaiserslautern verwaltet:
http://sun.rhrk.uni-kl.de/wws/info/khg-bibel