Matthias übernimmt den Stab der KHG-Bibelstaffette und läuft
(stellvertretend für Ludger, der von Termin-Wettläufen momentan
etwas außer Atem ist) seine zweite Runde.

Melanie Gross war am 28 Februar bereits mit dem "Unser Vater"
ins Rennen gegangen, aber ich möchte es durchaus noch einmal
aufgreifen, und zwar mit einer persönlichen "Paraphrase",
einer Um- bzw. Fortschreibung, die (für mich) im Wesentlichen
den gleichen Sinngehalt umfaßt.

Man findet das oft so genannte "Gebet des Herrn" bei Matthäus 6,
5-13 (oder noch kompakter bei Lukas 11, 2-4). Gerne wird das
gemeinsame Beten des "Vater Unser" eingeleitet mit den Worten
"Laßt uns beten, wie uns der Herr zu beten gelehrt hat".
Vielleicht ist Gott dann manchmal schon genervt, atmet tief durch
und denkt bei sich: "Da hast du uns ja was angetan, mein Sohn, als
du denen klar machen wolltest, wie sie beten sollen. Die sind doch
glatt so blöd, dein Beispiel immer wieder wörtlich nachzubeten
und sind sogar noch stolz darauf. Wenn ich nicht in ihre Herzen
sehen könnte, würde ich glauben, die hätten nichts verstanden."

Als ich das Gebet zum ersten Mal in der Bibel fand, war ich über
den Kontext freudig überrascht und fühlte mich erlöst von der
kirchlichen Schwere dieses immer wieder so herausgehobenen Gebets.
Es ist Teil der Bergpredigt, wo die Essenz der christlichen Lehre
für mein Gefühl bestens zusammengefaßt ist und wo Jesus das
jüdische Gesetz wieder vom Kopf auf die Füße (bzw. aufs Herz)
stellt und anhand von Beispielen aus dem alltäglichen Leben
erläutert. Zum Thema Beten sagt er zunächst vor allem, was wir
/nicht/ tun sollen: Es geht nicht darum, daß man dabei gesehen
wird, also irgendeines Menschen (oder Über-Ichs) Erwartungen
erfüllt oder seinen eigenen Narzißmus pflegt. Viele Worte sind
außerdem nicht nötig, eigentlich kommt es auf die gar nicht an,
denn Gott kennt ja unser Innerstes.

Im Grunde dient das Beten in erster Linie uns selbst. Wenn wir
uns in Jesu "Gebets-Vorlage" wiederfinden, kann es für uns ein
gutes Gebet sein, und wenn wir durch das gemeinsame Beten in
unseren Versammlungen Gemeinschaft erfahren, ist das allein
schon sehr viel. Aber mir scheint es offensichtlich: Das "Vater
Unser" war vor allem als /ein/ Beispiel gemeint (das übrigens
auch Fragmente von Gebeten aus alten jüdischen Riten enthält).

Beten heißt für mich, mich neu zu Gott in Beziehung zu setzen
oder manchmal auch einfach, das gerade Erlebte mittels Dank
oder Bitte in eben diese Beziehung mit einzu"beziehen". Das
"Unser Vater", das so gut wie allen Christen fast in "Fleisch
und Blut" übergegangen sein dürfte, ist für mich oft eine Art
Anker, wenn ich (z.B. wenn mir "die Decke auf den Kopf fällt"
und ich in die Natur geflüchtet bin) spüre, daß ich mir selbst
(und damit auch Gott) entfremdet bin und neu Gottes Nähe suche.
Dann hole ich mir manchmal Zeile für Zeile des "Vater Unser"
ins Bewußtsein und versuche sie aus meiner aktuellen Situation
heraus fortzuschreiben. Meist führt mich das Schritt für Schritt
in ein eigenes Gebet und näher zu Gott (und damit auch zu mir).

Der folgende Text, zu dem das bisher Geschriebene nur Einleitung
gewesen sein soll, war so ähnlich entstanden. Ich wollte damit
jemand anderem ein Bild von meinem Glauben malen, was ich hiermit
für Euch wiederholen möchte:


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Eine persönliche Paraphrase auf das "Vater Unser" (Mt 6, 5-13)
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Wir wollen uns nicht wie die Heuchler verhalten und beim Beten
öffentlich und laut unseren Glauben demonstrieren. Unser Lohn sei
nicht unser Stolz und das schlechte Gewissen der anderen, sondern
eine echte, tragfähige Beziehung zu Dir. Wir wollen auch nicht viele
Worte machen, denn Du weißt ja, was wir denken und fühlen, noch
bevor wir es aussprechen können. Unser Gebet sei vor allem Besinnung
auf Deinen Willen und die Schönheit der Schöpfung. Die Worte, die
wir vor allem brauchen, um uns zu konzentrieren, sollen immer wieder
das in uns wach rufen, wach halten, was Dich und unsere Beziehung
zu Dir ausmacht.

[Unser Vater im Himmel,] Du, dessen Name unaussprechlich ist, Du
bist im Verborgenen, in einer Welt, die uns oft unnahbar scheint und
doch unser Ursprung und unsere eigentliche Lebensquelle ist. Von
Jesus haben wir gelernt, in Dir mehr die Liebe selbst, als den
gnadenlosen Richter zu sehen. Er sagte vertrauensvoll "Vater", wenn
er zu Dir betete, und so wollen wir es auch tun. Wir brauchen solche
Sinnbilder, um Dein Wesen annähernd erkennen zu können. Genauso gut
könnten wir "Mutter" sagen, aber in Deiner ganzen Eigenart kann Dich
kein Vergleich, ja nicht einmal die Bibel, erfassen.

[geheiligt werde Dein Name.] Ehrfürchtig und umsichtig wollen wir
Dich verkünden und nicht ständig so locker über "Gott" reden, als
hätten wir Dich erfaßt und quasi unter Kontrolle. Wir können im
Grunde froh sein, daß wir in dieser gottlosen Welt überhaupt Deine
Stimme hören. Unser Glaube ist ein seltenes und wertvolles, aber
auch zerbrechliches Gut, und wir wollen nicht "Perlen vor die Säue"
werfen. Aber wir wollen auch nicht davon schweigen und unser Leben
entschieden nach Dir und auf Dich hin ausrichten.

[Dein Reich komme,] Dein Reich ist "nicht von dieser Welt". Die
Hoffnung, aus der heraus wir leben, scheint in dieser Welt voller
Machtstreben, Gewalt und Geldverehrung unrealistisch, ja unmöglich
zu sein. Doch wirklicher Glaube kann Berge versetzen, scheinbar
Unmögliches möglich machen. Und so wollen wir an die neue Welt
glauben und alles daran setzen, daß Dein Reich komme und wir eines
Tages die Knechtschaft des Kapitals (Mammon), der Regierungen
(Könige) und der seelischen Verstrickungen (Dämonen) ablegen können.
Dann wird der Haß und die Herrschaft von Menschen über Menschen ein
Ende haben und es wird Friede (Schalom) sein.

[Dein Wille geschehe,] Allein Dein Wille wird dann der Maßstab
unseres Handelns sein. Die Liebe selbst wird "herrschen". Die
Verheißungen der Bergpredigt werden sich erfüllen. Darauf wollen wir
unser Handeln ausrichten. In Deinem Namen wollen wir predigen,
heilen und christliche Gemeinschaft leben.

[wie im Himmel, so auch auf der Erde.] Erst wenn wir, wie Jesus,
ganz Menschen geworden sind, wenn wir uns wieder als Dein Abbild
verstehen und uns nach Deinem Willen ausrichten, werden wir den
"Himmel auf Erden" haben. Das Gefühl der Abgetrenntheit, das wir im
Bild der Ursünde zu verstehen suchen, wird, so hoffen wir, einmal
ein Ende haben. Das Böse wird uns dann nicht mehr verlockend
erscheinen, und wir werden wieder sehen, daß Deine Schöpfung sehr
gut ist.

[Unser tägliches Brot gib uns heute,] Wir sollen nicht horten und
uns allzuviele Sorgen um das Morgen machen. Du weißt, was wir
brauchen, und nach Deinem Willen soll niemanden hungern. Wie für die
Lilien auf dem Felde wird für uns gesorgt sein, wenn wir nur unser
Leben nach Deiner Gerechtigkeit ausrichten. So wollen wir auch heute
nicht mehr verlangen, als das, was wir zum Leben brauchen und sind
dankbar für alles, was wir aus Deiner Hand empfangen.

[und vergib uns unsere Schuld,] Wir sind aber schwach und stehen
immer in der Gefahr, vom rechten Weg abzukommen, denn "schmal ist
der Weg, der zum Leben führt". Wenn wir ihn manches Mal verfehlen,
so rechne uns dies nicht an. Die Erfahrung Deiner Gnade und
Vergebung nimmt uns immer wieder die schwere Last, unter der wir
schließlich zusammenbrechen würden.

[wie auch wir unseren Schuldigern vergeben.] Wie wir die Vergebung
unserer Schuld erbitten, so wollen wir auch denen, die an uns
schuldig geworden sind, immer wieder vergeben. Denn, solange wir
untereinander im Streit liegen, können wir Deine Versöhnung nicht
erfahren, und wahrer Gottesdienst ist nur in versöhnter Gemeinschaft
möglich.

[Und führe uns nicht in Versuchung,] Mit Deiner Hilfe wollen wir
lernen, dem Bösen immer entschiedener zu widerstehen. Mache uns
schon auf kleine Versuchungen aufmerksam und rufe uns immer wieder
zur Umkehr,

[sondern erlöse uns von dem Bösen.] damit wir eines Tages frei sind
von dem Bösen und ganz aus Deinem Geist leben können. Dann wird sich
Dein Reich kraftvoll und in Herrlichkeit verwirklichen.

(Matthias Kaldenbach, 22. Juli 2001)

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Der Text findet sich in schön druckbarer Form auch im Datei-Anhang.

Damit gebe ich den Stab weiter an Ludger, der hoffentlich nächste
Woche wieder zu Atem gekommen ist ...


Gruss

Matthias

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Ein Mann fragt den Rabbi, wozu es nötig sei, zum Gebet
in die Synagoge zu gehen, da doch Gott überall derselbe ist.
Darauf der Rabbi: "Gott schon, aber wir nicht!"

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[Wo ist Deine Synagoge?]



Eine Übersicht zur KHG Bibel-Staffette 2003 gibt's unter
http://www.dfki.uni-kl.de/~elst/html/bibel2003/

Die Bibel-Staffette wird mittels eines List-Servers am RHRK der Uni Kaiserslautern verwaltet:
http://sun.rhrk.uni-kl.de/wws/info/khg-bibel