Gewissensforschung kirche & film
Stellungnahme zu „Die unbarmhezigen Schwestern"

Peter Mullans „Die unbarmherzigen Schwestern“ (Kritik in dieser Ausgabe) erhielt im Jahr 2002 den „Goldenen Löwen“ des Filmfestivals in Venedig (vgl. fd 20/02). Unter dem Eindruck von zahlreichen Protesten, Presseberichten und Websites, auf denen der Film äußerst kontrovers diskutiert wurde, veröffentlichte P. Peter Malone, Präsident der internationalen katholischen Medienorganisation SIGNIS und Mitglied in der letztjährigen Venedig-Jury von SIGNIS, eine ausführliche Stellungnahme, die zur Diskussion über Mullans Film beitragen soll: Der schottische Schauspieler und Regisseur Peter Mullan hat einen ebenso gut gemachten wie schonungslosen Film über die katholische Kirche im Irland der 60er-Jahre inszeniert. Er untersucht die Zustände in den Wäschereien, die von Nonnen geführt wurden, die sich um junge Frauen kümmern sollten, die außereheliche Kinder hatten oder durch ihr sexuelles Verhalten auffällig wurden: man nannte diese häufig Magdalenen (nach der biblischen Gestalt der Sünderin Maria Magdalena, Anm. der Red.). In den vergangenen Jahren sind – insbesondere im englischsprachigen Raum – Geschichten über körperlichen und sexuellen Missbrauch in kirchlichen Institutionen ans Licht gekommen, wobei viele Priester und Ordensbrüder auch vor die Schranken des Gerichts gebracht und mitunter zu Gefängnisstrafen verurteilt wurden. „The Magdalene Sisters“ zeigt einen Kaplan, der sich dieser Vergehen schuldig macht. Seltener standen Nonnen vor Gericht, obwohl viele Berichte eher über körperliche Grausamkeit als über sexuellen Missbrauch vorliegen. Die meisten dieser Taten wurden zwischen 1950 und 1960 verübt. Die Ausbildung der Nonnen, die in diesem Film eine Rolle spielen, fand in den 50er-Jahren des vorigen Jahrhunderts oder früher statt; die Handlung des Films spielt in den 60er-Jahren. Der Film wird sicherlich all jene Personen schmerzlich treffen, die durch die Erfahrungen der 90er-Jahre, die Enthüllungen, Gerichtsprozesse und Urteile verstört worden sind. Er wird all jene schmerzlich treffen, die eine positive Erinnerung an die eigene klösterliche Erziehung haben und all jene, die die Kirche und ihre Mitarbeiter nur in einem möglichst günstigen Licht sehen wollen. Dennoch ist diese Geschichte, die aufgrund ihrer Bilder einen größeren Eindruck hinterlässt als ein nur gelesener Bericht, nicht weniger wahr als die Fälle der jüngsten Vergangenheit, über die auch in der katholischen Presse zu lesen war. Greift der Film die katholische Kirche an? Peter Mullan verneint dies; dies war keineswegs seine Absicht. Der Film soll eine bestimmte religiöse Kultur in Frage stellen. Offensichtlich soll er jene Strenge der Kirche bloßstellen und kritisieren, die immer als charakteristischer Teil des irischen Katholizismus gesehen wurde. Es ist eine Kritik des Macht- und Autoritätsmissbrauchs im Namen des Kirche. (Ein passende Textstelle findet sich im Matthäus-Evangelium 20,24-28, in dem Jesus über Macht, Autorität und Dienen predigt.) Mullan vertritt die Ansicht, dass Irland ein theokratisch organisierter Staat war, und unterstreicht, dass alle, die dies akzeptiert haben, im Sinne Gottes zu handeln glaubten. Was bedeutet, dass die Schwestern selbst Opfer der religiös-weltlichen Verstrickungen waren. Während Priester (wie es im Film gezeigt wird) die jungen Frauen verurteilten, die in diese Einrichtungen geschickt wurden, um sie zu disziplinieren und kontrollieren, waren es zunächst die Familien, die ihre Töchter dorthin schickten. Diese Situation wird im Film am Beispiel einer jungen Frau dargestellt, die von ihrem Cousin vergewaltigt wurde. Man glaubt ihr nicht und stellt sie bloß, wodurch sie zum unschuldigen Sündenbock für die Verfehlungen des Mannes wird. Bei der Pressekonferenz des Filmfestivals von Venedig sprach Peter Mullan von anderen theokratisch geordneten Gesellschaften und führte als Beispiel die Taliban an – was zu absurd-übertriebenen Presseberichten führte, die behaupteten, er würde die Schwestern seines Films mit Taliban-Führern vergleichen. Obwohl der Film es kaum anspricht – mit Ausnahme vielleicht der Szene, in der einer der Gönner den ersten Film ins Kloster bringt („The Bells of St. Mary“) und in der Segnung der neuen Waschmaschinen –, spielt er zur Zeit des Zweiten Vatikanischen Konzils, das angetreten war, religiöses Leben und geistliches Amt zu überdenken. Wie weit diese Reformen in Irland umgesetzt wurden, können nur jene bezeugen, die die Veränderungen selbst erlebt haben; angesichts dieses Hintergrundes hätten die Charaktere des Films und ihr Verhalten nuancenreicher geschildert werden können, um ihn zu einem überzeugenderen Drama zu verdichten. Ein britischer Kritiker bemerkte, dass der Film einen sehr einseitigen Standpunkt vertritt, ohne jede Variation seiner schonungslosen Erzählweise. Wie auch immer: Dies ist der Film, den Peter Mullan gemacht hat. Die darstellerischen Leistungen der jungen Frauen sind erstklassig. Die Charaktere der Schwestern sind weniger klar konturiert, meist werden sie im Überblick gezeigt oder im Refektorium, wobei ihre Mahlzeiten als weit üppiger dargestellt werden als die der Mädchen. Geraldine McEwans Vorstellung als Äbtissin verdient Beachtung. Sie interpretiert eine kraftvolle Klostervorsteherin, der das letzte Urteil zukommt und die davon überzeugt ist, Gottes Willen zu vertreten. Dadurch erscheint sie manchmal grausam. Auch wenn man es bedauern mag: Wir werden uns bestimmt an Menschen in religiösen Führungspositionen erinnern, die sich so oder ähnlich verhielten. Aber wir müssen uns auch daran erinnern, dass sich nicht alle so verhielten. Denn auch das ist die Wahrheit. Man darf nicht übersehen, dass der Film eine Fiktion ist und kein Dokument. Die meisten Zuschauer werden verstehen, genau wie in Filmen, in denen die Polizei oder Politiker kritisiert werden, dass sich die Kritik nicht gegen alle richtet, da die meisten sich nie wie dargestellt verhalten haben. „The Magdalene Sisters“ kann als Teil einer ehrlichen Gewissenserforschung der Kirche angesehen werden und als eine Bitte, Reue zu zeigen, ein Ausdruck des Bedauerns und der Abbitte – alles, was Papst Johannes Paul II. in den vergangenen Jahren durch sein Beispiel vorgemacht und wozu er ermuntert hat.
Peter Malone