Eine universelle
Geschichte |
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Gespräch mit
Peter Mullan über „Die unbarmherzigen Schwestern" |
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In seiner zweiten Regiearbeit beschäftigt sich
Peter Mullan mit einem brisanten Thema: Während der 60er-Jahre
standen so genannte gefallene Mädchen in Irland unter starkem
Druck von Familie, Kirche und Gesellschaft. Nicht selten landeten sie
zur Fronarbeit hinter Klostermauern. In „Die unbarmherzigen Schwestern“
folgt Mullan der Leidensgeschichte von vier jungen Frauen in einer
streng katholischen Mädchenerziehungsanstalt. Mit Ihrem Film
lösen Sie Kontroversen aus. Mullan: Das spricht für ihn. Aber
ihn auf mögliche Kontroversen zu reduzieren, ist zu kurz
gegriffen. Ich erzähle eine universelle Geschichte über
Repression und erhebe meine Stimme gegen alle, die Frauen die Freiheit
nehmen – Taliban inklusive. Wie entstand die Idee zu dem Projekt? Mullan:
Ich habe einen Dokumentarfilm mit dem Titel „Sex in a Cold Climate“
über die Magdalenen-Heime gesehen und war erschüttert. Dann
begann ich zu recherchieren und hörte schreckliche Schilderungen
von alltäglichen Schikanen. Die Familien ließen ihre
Töchter unbarmherzig fallen und übergaben sie der
Verantwortung des christlichen Heimpersonals. Ich suchte mir vier wahre
Geschichten als Basis für einen Spielfilm. Aber ich wollte keinen
Dokumentarfilm machen, sondern einen Film über die Opfer. Wie war
die Kooperation mit kirchlicher Seite? Mullan: Wir stießen auf
eine Mauer des Schweigens. Es wurde auch gegen uns intrigiert. So
weigerten sich einige irische Zeitungen, unsere Aufrufe zu drucken, in
denen wir nach Zeitzeugen suchten. Was sagen Sie gegen die
Vorwürfe, der Film sei ein Affront gegen die katholische Kirche?
Mullan: Ich weiß nicht, wer so eindimensional denkt.
Natürlich haben Nonnen und Geistliche die jungen Frauen
unterdrückt und unwürdig behandelt, aber ich habe mir nichts
aus den Fingern gesogen, sondern beziehe mich auf authentische
Fälle. Autoritärer Druck und Demütigung waren damals
nicht nur eine Spezialität von Klosterschulen, sondern auch
woanders zu finden. Die irische Gesellschaft galt noch in den
60er-Jahren als sehr repressiv. Ich zeige eine Periode der
Ungerechtigkeit, das muss doch wohl erlaubt sein. Solche
Erziehungsinstitutionen der Kirche waren für Tausende Frauen die
Endstation, nur weil sie arm waren, ein uneheliches Kind hatten oder
moralisch verwerflich schienen. Manche mussten gar bis zum Tod hinter
Klostermauern ausharren. Wie stehen Sie persönlich zur katholischen
Kirche? Mullan: Ich war ein sehr idealistischer Jungkatholik und ging
immer zur Messe; irgendwann entschied ich mich zur großen Freude
meiner Mutter sogar für eine Klosterschule. Aber schon nach vier
Tagen hatte ich die Nase voll, weil ich mich in ein Mädchen
verguckte. Das war das Ende meiner religiösen Karriere. Über
die Jahre habe ich festgestellt, dass ich einem falschen Ideal folgte.
Ich kann mir keinen Gott vorstellen, der die Menschen nur zu ihrem
Besten leiden lässt. Wer damit keine Schwierigkeiten hat, soll
weiterhin an Gott und Kirche glauben. Ihr Film ist nicht gerade ein
Muntermacher. Erschwerte das die Finanzierung? Mullan: Das Projekt war
sehr schwer zu realisieren; weniger wegen des Themas als wegen eines
mangelnden Staraufgebots und der strengen Erzählform. Ich wollte
keinen technischen Schnickschnack, sondern einen atmosphärischen
Film, bei dem der Zuschauer den Figuren auf der Leinwand ganz nah ist,
der emotional packt und nicht mehr loslässt, wenn er die
Mädchen auf ihrem Leidensweg begleitet. Meine Produzentin, mit der
ich schon bei meinen Kurzfilmen und meinem ersten Spielfilm „Orphans“
zusammen arbeitete, lief sich zwei Jahre lang die Hacken ab, bis sie
das Geld zusammen hatte. Welches Publikum stellen Sie sich vor? Mullan:
Junge Leute. Natürlich ist „Die unbarmherzigen Schwestern“ kein
Teenie-Film im üblichen Sinne. Nichts gegen Disney und Konsorten,
aber das darf nicht alles sein, was Jugendliche präsentiert
bekommen. Es geht Beides: Unterhaltung und Ernsthaftigkeit. Ich habe
mich früher beim blutigen Western „Soldier Blue“ amüsiert,
aber auch „Der Nachtportier“ angeschaut. Man muss die jungen Zuschauer
neugierig machen und auf den Geschmack bringen, dass es noch etwas
anderes als den üblichen Mainstream gibt. Ich würde mich
freuen, wenn junge Mädchen ihre Freunde mitnehmen würden.
Teenager wollen gute Filme sehen, keine 08/15-Filme. Die Handlung
spielt zwar in den 60er-Jahren, und die offene Unterdrückung von
Frauen ist bei uns gesellschaftlich geächtet, die subtile besteht
aber weiter. Und das muss sich ändern. |
Das Gespräch führte Margret
Köhler |
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